Scheidung Lexikon Trennung

Arbeitspflicht

Entsprechende Verfahren
Scheidung
Trennung
Auflösung der Partnerschaft
Änderung eines Urteils
Vereinbarung unverheirateter Eltern

Siehe auch die Informationen im Scheidungsdossier unter Hypothetisches Einkommen, die auch Eheschutzmassnahmen gelten.

Was ist mit «Arbeitspflicht» gemeint?

Ab der tatsächlichen Trennung muss geprüft werden, ob und inwieweit von dem Ehepartner, der nun aufgrund der Aussetzung des Zusammenlebens von seiner Pflicht, den früheren Haushalt zu führen, entbunden ist, erwartet werden kann, dass er seine frei gewordene Arbeitskraft auf andere Weise investiert und seine Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt oder ausweitet.

Kurz gesagt, Müssiggang und die Bequemlichkeit, unterhalten zu werden, können keinen Vorrang vor der finanziellen Unabhängigkeit haben, die von den Eheleuten erwartet werden kann, der/die in der Lage ist, Einkommen zu erzielen (BGE 147 III 265 E. 7. 3).

Dabei geht es zum einen um die Frage, ob einer Person die Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit zumutbar ist, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung, ihres Alters und ihres Gesundheitszustands. Gegebenenfalls kann zur Klärung dieses Aspekts ein Gutachten angeordnet werden (5A_705/2022, Erw. 4).

Andererseits muss das Gericht feststellen, ob die Person tatsächlich die Möglichkeit hat, die so bestimmte Tätigkeit auszuüben, und welches Einkommen sie damit erzielen kann, wobei die oben genannten subjektiven Umstände sowie der Arbeitsmarkt zu berücksichtigen sind. Gegebenenfalls wird das Gericht ein hypothetisches Einkommen miteinziehen (5A_944/2021).

Eine dauerhafte und durch ein detailliertes Arztzeugnis belegte Arbeitsunfähigkeit kann ausreichen, um zu beweisen, dass die betroffene Person tatsächlich keine Arbeit mehr finden kann (5A_88/2023, Erw. 3.3.3; 5A_584/2022). Zum Beweiswert eines ärztlichen Zeugnisses siehe 5A_88/2023.

Zwar steht es jedem Elternteil frei, sein Arbeitspensum zu verringern oder die Arbeit aufzugeben, aber nicht auf Kosten der Kinder. Grundsätzlich und vorbehaltlich der Schulstufen (siehe unten) ist die freiwillige Reduzierung der Erwerbstätigkeit durch einen Elternteil nur dann erlaubt, wenn der Lebensstandard der unterhaltsberechtigten Kinder gesichert ist (5A_273/2018).

Selbst wenn nicht mehr ernsthaft mit der Wiederaufnahme des Zusammenlebens gerechnet werden kann, haben getrenntlebende Ehegatten eine gegenseitige Unterhaltspflicht. Sie bleiben verheiratet und daher ist Art. 163 ZGB weiterhin anwendbar (5A_608/2019).

Grundsätzlich muss eine «angemessene Frist» (am häufigsten zwischen 3 und 6 Monaten) eingeräumt werden, um die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit oder die Erhöhung des Arbeitspensums zu ermöglichen (5A_513/2023, E. 6.3.2.3 ; 5A_489/2022 E. 5.3.2).

In einem besonderen Fall erachtete das Bundesgericht eine Frist von sechs Monaten, die einer 44-jährigen Frau zur Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit in ihrem Fachgebiet (Banken-Compliance) eingeräumt wurde, als zu lang: 5A_513/2023.

Das Gericht kann aber auch keine Frist für die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit oder die Erhöhung des Arbeitspensums zulassen. Beispielsweise ist es nicht willkürlich, einem Vater, der Sozialhilfe bezieht, aber keine bekannte gesundheitliche Beeinträchtigung hat, die ihn an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit hindern würde, ein hypothetisches Einkommen ohne Anpassungsfrist zuzugestehen (5A_555/2023 E. 9).

Ein paar Beispiele:

  • Der nicht erwerbstätige Ehepartner muss, sobald er von der endgültigen Trennung erfährt, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Erwägung ziehen. Die Übergangsfrist für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beginnt ab diesem Zeitpunkt zu laufen (5A_112/2020).
  • Wenn die Wiederaufnahme des Zusammenlebens vernünftigerweise nicht mehr möglich ist, muss die Eigenfinanzierung Vorrang haben und damit grundsätzlich die Pflicht, sich (wieder) in den Arbeitsmarkt einzugliedern oder eine bereits ausgeübte Tätigkeit auszuweiten. (5A_108/2020).
  • Der Grundsatz der finanziellen Unabhängigkeit hat Vorrang vor der Unterhaltspflicht (5A_191/2021).
    Eine ausgewogene alternierende Obhut (50/50) führt grundsätzlich zu einer 50 %igen Arbeitspflicht (5A_484/2020; 5A_472/2019).
  • Die Arbeitspflicht — um finanziell so unabhängig wie möglich zu sein — ist ein «allgemeiner Grundsatz im Unterhaltsrecht» (BGE 147 III 301 E. 6.2; 5A_191/2021).
  • Grundsätzlich ist es einem Ehepartner zumutbar, wieder zu arbeiten, wenn er unter 50 Jahren alt ist. Zudem ist die Schwelle noch höher, wenn es um die Erhöhung einer nebenberuflichen Tätigkeit geht, die der Ehegatte bereits ausgeübt hat, da die Erhöhung einfacher ist als die Wiederaufnahme einer Tätigkeit für eine Person in dieser Altersgruppe (5A_319/2016).
  • Ein 41-jähriger Ehegatte, der gesund und von der Kinderbetreuung voll entlastet ist und zu 20 % arbeitet, muss seine Erwerbstätigkeit während der voraussichtlich mehrjährigen Trennung auf 100 % ausdehnen können (BGE 128 III 65; BGE 130 III 537).
  • Auch wenn sie in der Vergangenheit zeitweise gesundheitliche Probleme hatte, soll eine 46-jährige Frau ohne unterhaltsberechtigte minderjährige Kinder und mit einer Ausbildung zur medizinischen Sekretärin zu 100 % arbeiten können (5A_202/2022).
  • Nach einer 16-jährigen Ehe, in der die Ehefrau nicht gearbeitet hat, kann von einer 47-jährigen Ehefrau mit gesundheitlichen Problemen und ohne berufliche Ausbildung oder Erfahrung erwartet werden, dass sie 50 % ihrer Zeit arbeitet (5A_263/2019).
  • Zum Beispiel einer 51-jährigen Ehefrau, die ihre Arbeitszeit von 60 % auf 100 % erhöhen muss, siehe 5A_474/2013.
    • Keine Verpflichtung zur Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit einer 50-jährigen Ehefrau (lange Ehe und komfortable finanzielle Situation des Ehemannes, 5A_267/2018).
    • Verpflichtung zur Wiederaufnahme einer 80 %igen Tätigkeit für eine 50-jährige, gesundheitlich beeinträchtigte Frau, die praktisch nicht gearbeitet hatte (5A_608/2019).
  • Eine 60-jährige Frau mit guter Ausbildung und Sprachkenntnissen, die vor der Trennung in Teilzeit gearbeitet hatte und Anspruch auf eine Vermittlung nach dem Arbeitslosengesetz hatte, muss diese Teilzeitarbeit wieder aufnehmen dürfen (5A_526/2014).

Wenn Kinder vorhanden sind

Wenn Kinder vorhanden sind und nach einer Übergangsphase oder bei fehlendem Einverständnis der Eltern über die Betreuung der Kinder, gilt das Schulabschlussmodell (5A_384/2018 und die Pressemitteilung des Bundesgerichts).

Konkret ist das Bundesgericht der Ansicht, dass ein Elternteil, der nicht bereits berufstätig ist, nicht verpflichtet ist, eine Konkret vertritt das Bundesgericht die Auffassung, dass ein Elternteil, der nicht bereits berufstätig ist, nicht verpflichtet ist, wieder zu arbeiten oder sein Arbeitspensum zu erhöhen, solange das jüngste Kind das Schulalter (im Prinzip ab 4 Jahren) noch nicht erreicht hat. Es kann ihm jedoch zugemutet werden, mindestens 50 % zu arbeiten, wenn das jüngste Kind das Schulalter erreicht hat und bis zum Alter von 12 Jahren und 80 % bis zum Alter von 16 Jahren und danach 100 %. Wenn der Elternteil bereits arbeitet, in vollem oder reduziertem Umfang, muss er seine Arbeit fortsetzen und kann sein Arbeitstempo Arbeitspensum nicht auf Grund der genannten Schulregeln Schulstufenmodell einstellen oder reduzieren (Waadtländer Rechtsprechung, CACI 31. Januar 2022).

Weigert sich der Elternteil trotz konkreter Möglichkeiten zu arbeiten, wird das hypothetisches Einkommen einbehalten (5A_191/2021).

Die Betreuung mehrerer Kinder oder der Gesundheitszustand eines Kindes kann eine Abweichung von der Schulstufenregelung rechtfertigen (5A_963/2018).

Bei einer angespannten finanziellen Situation und wenn beide Elternteile vor der Geburt des Kindes — und auch gelegentlich nach der Geburt — gearbeitet haben, muss die Person, die ihre Arbeitszeit nach der Geburt reduziert hat, nach einigen Monaten (9 Monate sind ein grosszügiger Zeitraum) wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können. Siehe: 5A_329/2019.

Kommt während der Trennung ein neues Kind zur Welt (mit einer anderen Person als der unterhaltspflichtigen Person), gelten die Regeln für die Schulstufen nicht, wenn es sich um das neue Kind handelt (BGE 144 III 481; 5A_926/2019).

Mit anderen Worten: Eine Mutter kann von ihrem entfremdeten Ehemann keine Alimente mit der Begründung verlangen, dass sie ein neues Kind mit ihrem neuen Partner hat und nicht arbeiten müsste, bis das neue Kind das Schulalter erreicht hat.

Wenn die Mutter Alimente zahlen muss und ein neues Kind aus einer neuen Beziehung zur Welt bringt, ist es zulässig, dass sie ihr Arbeitspensum reduziert oder sogar aufhört zu arbeiten, um sich um ihr neues Kind aus der neuen Beziehung zu kümmern, jedoch höchstens während des ersten Jahres (5A_549/2019; 5A_273/2018).

Arbeitslosigkeit

Eine Person, die Leistungen von der Arbeitslosenkasse beziehen möchte, muss alle zumutbaren Massnahmen ergreifen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder die Dauer der Arbeitslosigkeit zu minimieren. Insbesondere muss sie sich um eine Stelle bemühen und zumutbare Stellen unverzüglich annehmen. Die Kriterien der Arbeitslosenversicherung lassen sich nicht unverändert auf das Familienrecht übertragen. Zusätzliche Anstrengungen können im Familienrecht insbesondere bei Unterhaltsverpflichtungen für minderjährige Kinder und bei bescheidenen finanziellen Verhältnissen verlangt werden (5A_983/2021).

Artikel aktualisiert am 26/08/2024