Ungültigkeit der Ehe
Eine Ehe kann in den in Artikel 105 ZGB genannten Fällen für ungültig erklärt werden. Es handelt sich dabei um absolute Gründe für die Ungültigkeit der Ehe. Sie kann jederzeit (Artikel 106 Abs. 3 ZGB), auf Initiative der Behörden oder jeder interessierten Person erfolgen (5A_413/2022).
Ein Urteil zur Ungültigerklärung einer Ehe hat zur Folge, dass die Ehe nie bestanden hat. Das Urteil wirkt daher rückwirkend (außer bei der Annullierung einer Scheinehe, siehe unten)
Bigamie
Neue Ehe und frühere Ehe, nicht durch Scheidung oder Tod aufgelöst (Art. 105 Ziff. 1 ZGB)
Wenn es den Anschein hat, dass einer der Ehegatten zum Zeitpunkt seiner “Wiederverheiratung” noch verheiratet (nicht geschieden) oder in einer eingetragenen Partnerschaft war, verstösst diese neue Ehe gegen das Verbot der Bigamie und muss für nichtig erklärt werden können (5A_413/2022, 2C_792/2012). Dasselbe gilt für eine Partnerschaft, die bei Abschluss einer neuen eingetragenen Partnerschaft nicht aufgelöst wird.
Scheinehe (Art. 105 Ziffer 4 ZGB)
Die schweizerischen Zivilstandsbeamten werden angewiesen, keine Ehe oder Partnerschaft zu registrieren, wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass die Verbindung keinen anderen Zweck verfolgt als die Umgehung der Vorschriften zur Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung (5A_785/2009), insbesondere bei einem sehr grossen Altersunterschied.
Wenn die Verletzung der Vorschriften zur Erlangung von Genehmigungen zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ist, muss der Standesbeamte die Ehe/Partnerschaft eintragen lassen, wobei er die Behörden informiert und sie auffordert, die Ehe auf gerichtlichem Wege annullieren zu lassen (5A_159/2016).
Denn wenn die Ehe nur zum Zweck der Erlangung einer Genehmigung geschlossen wurde und die Ehegatten nicht bereit waren, eine eheliche Gemeinschaft zu bilden, kann die Ehe/Partnerschaft einfach annulliert werden, ohne dass eine Frist für eine vorherige physische Trennung eingehalten werden muss.
Das Bestehen intimer Beziehungen vor oder nach der Eheschließung schließt eine Scheinehe nicht zwangsläufig aus. Siehe BGE 98 II 1: Eine Frau bezirzt einen Schweizer und unterhält sexuelle Beziehungen mit ihm, um die Staatsangehörigkeit oder ein Aufenthaltsrecht (Bewilligung) zu erhalten.
Schliesslich ist zu beachten, dass ein Urteil, das eine Ehe annulliert und sich auf Artikel 105 Ziffer 4 ZGB stützt, keine rückwirkende Kraft hat (BGE 141 III 1 Consid 4), im Gegensatz zu anderen Urteilen, die eine Ehe aus einem der absoluten Gründe von Artikel 105 ZGB annullieren.
Wenn also ein Ehegatte während des Aufhebungsverfahrens oder eines parallelen Trennungs- oder Scheidungsverfahrens vorsorgliche Maßnahmen (Unterhaltszahlungen) erwirkt, hebt das Eheaufhebungsurteil diese Maßnahmen, die im Rahmen des Eherechts verhängt wurden, nicht auf (5A_412/2018).
Zwangsheirat (Art. 105 Ziff. 5 und 6 ZGB)
Die Möglichkeit der Ungültigerklärung einer Ehe besteht auch im Falle einer Zwangsheirat.
Siehe die zahlreichen Veröffentlichungen im Internet, zum Beispiel:
Zwangsverheiratung kann auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (Art. 181a StGB). Siehe auch die Seite über strafrechtliche Aspekte.
Eine Eheannullierung kann auch aus relativen Gründen, die in Artikel 107 CC aufgelistet sind, beantragt werden.
In diesen Fällen wird die Klage von einem der Ehegatten erhoben und muss innerhalb von sechs Monaten nach Entdeckung des Ungültigkeitsgrundes, spätestens aber innerhalb von fünf Jahren nach der Eheschließung erfolgen (Art. 108 CC).
Besonderheiten bei der Ungültigserklärung einer Ehe
Ein Verfahren zur Annullierung einer Ehe kann langwierig und kostspielig sein, nicht nur wegen der Anwaltskosten (wir empfehlen Ihnen, sich von einem Anwalt unterstützen zu lassen), sondern auch, weil Sie Gefahr laufen, dem anderen während des gesamten Verfahrens, das sich über zwei oder drei Jahre hinziehen kann, Unterhaltszahlungen leisten zu müssen.
Wer die Ungültigerklärung einer Ehe beantragt, muss hinreichende und übereinstimmende Elemente/Indizien vorbringen, die beweisen, dass die Voraussetzungen für die Ungültigerklärung erfüllt sind. Dazu gehört insbesondere der Nachweis der Absicht des einen und/oder des anderen, das Fehlen eines gemeinsamen (auch vorübergehenden) Willens, ein Heim zu gründen und/oder das Fehlen des Willens, eine stabile Beziehung zu schaffen (5A_413/2022). Es ist oft schwierig, diese Beweise zu erbringen, da sie in erster Linie auf persönlichen und subjektiven Empfindungen beruhen. Das Verfahren zieht sich daher in die Länge und ist umso teurer, je länger es dauert (Anwaltskosten).
In der Praxis ist es daher oft vorzuziehen und viel billiger, eine schnelle Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen “auszuhandeln”, als ein Annullierungsverfahren zu durchlaufen (“Ich zahle Ihnen Ihren Rückflug + einen Betrag von CHF….. und wir bekommen eine schnelle Scheidung”). Das Flugticket und der Betrag werden erst nach Rechtskraft des Urteils (ohne Berufung oder Klage ; was also etwa drei Monate Zeit für die Organisation lässt) ausgehändigt. Höchstwahrscheinlich sind die Gesamtkosten viel geringer als die Kosten für den Anwalt und das Eheannullierungsverfahren, und das Ergebnis wird fast sofort sichtbar sein.
Beachten Sie, dass vorsorgliche Maßnahmen zu Beginn des Verfahrens schnell beantragt und erwirkt werden können. Zum Beispiel, dass einer der beiden die “eheliche Wohnung” in absehbarer Zeit verlässt. Sobald solche Maßnahmen ergriffen werden, kann die Aufenthaltserlaubnis aufgehoben werden.
Wer sich dem Antrag auf Annullierung der Ehe widersetzt, kann also nicht damit rechnen, dadurch Zeit zu gewinnen und seinen Aufenthaltstitel während des gesamten Verfahrens behalten zu können.
Für ein Beispiel einer verweigerten Annullierung einer Ehe siehe 5A_413/2022.