Wichtige Verfahrensregeln
Die Zivilprozessordnung gilt in der gesamten Schweiz. Sie enthält detaillierte Regeln für alle Verfahren, insbesondere für Verfahren im Familienrecht.
Generell:
Treu und Glauben
Jede Partei hat nach Treu und Glauben zu handeln (Art. 52 ZPO).
Rechtliches Gehör
Vor einer Entscheidung hat jeder Partei Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 53 ZPO).
Dies ist ein grundlegendes verfassungsmässiges Prinzip (Art. 29 Abs. 2 BV).
Das bedeutet nicht unbedingt, dass sich jeder mündlich ausdrücken soll. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann schriftlich ausgeübt werden.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst insbesondere:
- Das Recht für die Partei, relevante Beweise zu den Fakten vorzulegen, die die zu treffende Entscheidung beeinflussen könnten
- Die Möglichkeit, auf relevante Beweisangebote zu reagieren
- Die Teilnahme an der Verwaltung wesentlicher Beweise oder zumindest die Möglichkeit, sich zu deren Ergebnissen zu äussern, es sei denn, die zu beweisende Tatsache ist irrelevant oder das Beweismittel erscheint offensichtlich ungeeignet, die behauptete Tatsache zu beweisen, und sich dazu zu äussern (5A_79/2023 E. 3.3.1).
In sehr dringenden Fällen (insbesondere bei Gewalt) kann das Gericht eine erste Entscheidung ohne rechtliches Gehör der anderen Partei treffen (superprovisorische Massnahme, Art. 265 ZPO), muss jedoch die Parteien schnellstmöglich einberufen, damit sie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör geltend machen können, und eine ordentliche vorsorgliche Massnahme bestätigen oder nicht, die in der Eile getroffen wurde.
Recht auf Beweis
Das Recht, seine Behauptungen zu beweisen, ergibt sich aus dem verfassungsmässigen Recht, Anspruch auf rechtliches Gehör zu haben (Art. 29 Abs. 2 BV), aus Art. 8 ZGB und aus Art. 152 ZPO. Jede Partei hat das Recht, eine relevante bestrittene Tatsache zu beweisen, die angemessenen Beweismittel zu verwalten, sofern sie ordnungsgemäss und rechtzeitig vorgeschlagen wurden. Das Gericht kann jedoch auf ein Verlangen, eine bestimmte Tatsache zu beweisen, verzichten, wenn es der Ansicht ist, dass es bereits genügend Informationen hat, um seine Entscheidung zu treffen, und dass der geforderte Beweis die bereits aufgrund anderer Beweise gewonnene Überzeugung nicht ändern würde (Antizipierte Beweiswürdigung; 5A_79/2023 E. 3.2.2).
Der Beweis
Der Beweis kann durch die Aussagen der Parteien, die Anhörung von Zeugen, Sachverständigengutachten, Urkunden (Grundbuchauszug, Familienausweis usw.) oder Unterlagen (Vertrag, Schriftstück, Arztzeugnis, ein Dokument wie ein Bericht eines Detektivs) erbracht werden. Einige Beweise können nicht erbracht werden, da sie rechtswidrig sind. Dazu gehören insbesondere Audio- oder Videoaufnahmen, E-Mails, die ohne Zugriff auf das E-Mailbox erhalten wurden. Das Gericht ist immer vollständig frei in der Würdigung des Beweiswerts (ausser, wenn er aus einem offiziellen Titel, einer notariellen Urkunde oder offenkundigen Tatsachen resultiert). Zu der zweifelhaften Gültigkeit eines Arztzeugnisses siehe 5A_79/2023 E. 3.3.3.
Mitwirkungspflicht
Die Parteien sind zur Mitkirkung mit dem Gericht verpflichtet, insbesondere bei der Feststellung der Tatsachen. Wenn eine Partei die Mitwirkung verweigert, wird das Gericht dies bei der Bewertung der Beweise berücksichtigen und tendenziell dazu neigen, dass die Aussagen der mitwirkenden Partei korrekt sind, während die Aussagen der nicht mitwirkenden Partei dies nicht sind. Das Gericht hat dabei einen grossen Ermessensspielraum.
Hier werden die Begriffe des Urteils 5A_978/2020 E. 7.5.2, übernommen: Art. 170 ZGB verpflichtet den Ehegatten, seinen Partner über seine Einkommen, Vermögenswerte und Schulden zu informieren, und das Gericht kann ihn sogar dazu verpflichten. Die Rechtsprechung präzisiert, dass das Verhalten des Ehegatten, der die ihm durch diese Bestimmung auferlegte Pflicht verletzt, indem er sich weigert, mit dem Gericht mitzuwirken, dazu führen kann (und nicht muss), dass die Justizbehörde von der vollständigen oder teilweisen Unwahrheit seiner Behauptungen überzeugt wird (5A_79/2023 E. 5.4; BGE 118 II 27 E. 3; 5A_155/2015 E. 4.2).
Darüber hinaus sind die Parteien gemäss Art. 160 Abs. 1 ZPO verpflichtet, bei der Verwaltung der Beweise zusammenzuwirken. Wenn eine Partei dies ohne triftigen Grund verweigert, sieht Art. 164 ZPO vor, dass das Gericht dies bei der Beweiswürdigung berücksichtigt. Diese Bestimmung gibt jedoch keine Anweisungen für die Konsequenzen, die das Gericht aus der Verweigerung der Mitwirkung bei der Beweiswürdigung ziehen muss. Es ist insbesondere nicht vorgeschrieben, dass das Gericht automatisch zu der Wahrheit der von der gegnerischen Partei vorgelegten Tatsachen kommen muss; vielmehr soll die ungerechtfertigte Verweigerung der Mitwirkung als ein Element unter vielen in die freie Beweiswürdigung einbezogen werden (Art. 157 ZPO; BGE 140 III 264 E. 2.3; 5A_622/2020 E. 3.2.4; 5A_689/2020 E. 4.2).
Verhandlungsgrundsatz / Dispositionsgrundsatz und Untersuchungsgrundsatz / Offizialgrundsatz
Gemäss Art. 55 ZPO muss jede Partei die Tatsachen nachweisen, auf die sie sich stützt; das Gericht sucht oder beweist sie nicht selbst. Dies ist der Verhandlungsgrundsatz (manchmal als «Dispositionsgrundsatz» bezeichnet, vgl. Art. 58 ZPO; 5A_582/2020 E. 6.2.2).
Es gilt für alle Ansprüche zwischen Erwachsenen (z. B. Unterhaltsbeiträge zwischen Erwachsenen, Auflösung des Güterstandes, insbesondere Art. 277 ZPO).
In Scheidungen / Trennungen im gegenseitigen Einvernehmen wird das Gericht daher nicht eingreifen und Vereinbarungen zur Auflösung des Güterstandes oder zu Unterhaltsbeiträgen (oder deren Fehlen) zwischen Erwachsenen ohne Diskussion akzeptieren, ausser wenn die Vereinbarung ist «offensichtlich unangemessen» (Art. 279 ZPO).
In einigen Fällen ist das Gericht verpflichtet, die Fakten selbst festzustellen (Art. 272 ZPO; Art. 296 ZPO). Dies ist dann die Untersuchungsgrundsatz (manchmal als «Offizialgrundsatz» bezeichnet, vgl. Art. 58 ZPO).
Dies betrifft insbesondere alle Aspekte, die die Kinder betreffen (Sorgerecht, Obhut, Besuchsrecht, Unterhaltsbeiträge) und die Aufteilung oder Nichtaufteilung der während der Ehe angesammelten beruflichen Vorsorge.
In diesen Fällen ist es das Gericht selbst, das die notwendigen Fakten suchen muss, um eine Entscheidung zu ermöglichen. Die Parteien müssen mitwirken, aber das Gericht bleibt immer vollständig frei, über diese Themen zu entscheiden, indem es selbst die für seine Entscheidung notwendigen Fakten sucht, ohne an die Schlussfolgerungen oder Parteianträge gebunden zu sein (Art. 296 Abs. 3 ZPO; 5A_274/2023 E. 4.1.2 und 5.2).
Nicht öffentliche Verhandlung
Im Familienrecht sind Verhandlungen nicht öffentlich gemäss Art. 54 Abs. 4 ZPO statt (ohne Anwesenheit der Öffentlichkeit, nur die Parteien und ihre eventuellen Anwälte sind vor dem Gericht anwesend).