Urteil
Das Prinzip des Urteils
Das Urteil schliesst das Verfahren ab und entscheidet darüber, was vor Gericht beantragt wurde.
Eine Scheidung oder Auflösung der Partnerschaft kann nur durch ein Urteil, das von einem zuständigen Gericht erlassen wird, rechtsgültig erfolgen.
Ein Urteil kann nur durch ein anderes Urteil geändert werden (siehe: Verfahren zur Änderung eines Urteils).
Eine Trennung kann ohne Urteil erfolgen. In diesem Fall spricht man von einer faktischen Trennung. Solange man sich gut versteht, gibt es kein Problem, aber sobald es weniger Übereinstimmung gibt, bedauert man, die Lage nicht durch ein Urteil in Ordnung gebracht zu haben und man wird gezwungen sein, ein gerichtliches Verfahren einzuleiten.
Dasselbe gilt für eine Konvention über Kinder unverheirateter Eltern. Es ist besser, die Dinge im Voraus zu planen und sie ein für allemal festzulegen.
Das Gericht schickt das Urteil per Einschreiben mit Empfangsbestätigung an jeden Ehepartner.
Im Prinzip muss das Urteil sowohl die eingereichte Klage, bzw. das eingereichte Begehren wie auch alle Nebenfolgen behandeln. Dies ist das Prinzip der «Einheit des Urteils» (5A_619/2012; BGE 112 II 289).
Dieser Grundsatz kann einer Reihe von Ausnahmen unterliegen (Verfahren ad separatum 5A_679/2020; BGE 144 III 298):
- Die Auflösung des Güterstandes kann auch später in einem gesonderten Verfahren erfolgen (Art. 283 Abs. 2 ZPO).
- Die Teilung der beruflichen Vorsorge kann auch in einem separaten Verfahren unter den Voraussetzungen von Art. 283 Abs. 3 ZPO verschoben werden.
- Wenn sich die Parteien einig sind oder wenn die Interessen eines der Ehegatten dies erfordern (z.B. um wieder zu heiraten, 5A_426/2018), kann das Gericht einen ersten Entscheid (ein Teilurteil) über die Scheidung und zu einem späteren Zeitpunkt einen zweiten Entscheid über die Nebenfolgen (ehelicher Güterstand, Alimente usw.) erlassen (BGE 144 III 298). Ein Teilurteil, das sich auf den Grundsatz der Scheidung beschränkt, ist möglich, wenn die Ehegatten einer solchen Entscheidung zustimmen oder wenn das Interesse eines Ehegatten an einem Teilurteil das Interesse des anderen Ehegatten an einer einheitlichen Entscheidung, die sowohl den Grundsatz der Scheidung als auch die Nebenwirkungen der Scheidung regelt, überwiegt. Das blosse Interesse eines Ehegatten am Wegfall der Erbenstellung des anderen reicht nicht aus, um eine Teilentscheidung zu rechtfertigen, wenn sich der andere Ehegatte dagegen ausspricht. Das Interesse an der Nachlassplanung kann jedoch eine auf den Grundsatz der Scheidung beschränkte Teilentscheidung rechtfertigen (5A_374/2021). Das Gericht entscheidet nach freiem Ermessen, ob ein Teilurteil nur über die Scheidung gefällt werden soll (5A_679/2020). Je länger sich das Scheidungsverfahren hinzieht, desto eher wird ein Teilurteil über die Scheidung angestrebt (5A_679/2020).
Einige Beispiele: - Für ein Beispiel eines Antrags auf Teilurteil, der dreimal abgelehnt und beim vierten Mal gewährt wurde, siehe 5A_860/2021.
- Herr ist 83 Jahre alt und leidet an zwei lebensbedrohlichen Krankheiten. Teilurteil über die Scheidung angenommen, damit er seine Lebensgefährtin heiraten kann (5A_728/2022).
- Langwieriges und kompliziertes Scheidungsverfahren in Bezug auf die güterrechtliche Auseinandersetzung. Herr beantragt, dass die Scheidung sofort ausgesprochen wird, ohne die güterrechtliche Auseinandersetzung (Teilurteil) abzuwarten, damit er seine erste Ehefrau wieder heiraten kann. Dem Antrag wurde stattgegeben (5A_887/2022).
Es ist daher möglich, ein Teilurteil über das Prinzip der Scheidung und später ein weiteres Urteil zu erwirken, das über die Wirkungen und Folgen der Scheidung entscheidet.
Dasselbe Prinzip gilt für Eheschutzmassnahmen (5A_385/2012) oder einen Antrag auf Auflösung der Partnerschaft.
Ein Urteil muss klar und präzise sein
Es ist ausgeschlossen, sich mit einer vagen oder bedingten Entscheidung wie «die Parteien machen, was sie wollen» zufrieden zu geben oder zu sagen, dass die Obhut «im Einvernehmen mit der Mutter» ausgeübt wird (5A_454/2019).
Natürlich werden Sie in der Praxis «tun, was Sie wollen», indem Sie sich darauf einigen, sich nicht an diese oder jene Bestimmung des Urteils zu halten. Niemand wird kommen, um zu überprüfen, ob das Urteil respektiert wird.
An dem Tag, an dem es keine (ausdrückliche oder stillschweigende) Vereinbarung mehr gibt, diesen oder jenen Aspekt des Urteils nicht zu respektieren, gelten die Bestimmungen des Urteils.
Ein Urteil wird rechtskräftig und vollstreckbar, wenn nicht innerhalb der im Urteil festgelegten Frist (in der Regel 30 Tage nach Erhalt, aber nur 10 Tage bei Eheschutzurteilen) Berufung oder Beschwerde eingelegt wird.
Während der 30-tägigen Berufungsfrist können beide Ehegatten gemeinsam beim Berufungsgericht eine Erklärung abgeben, in der sie auf das Urteil verzichten.
Dasselbe gilt, wenn man auf ein Urteil über die Auflösung der Partnerschaft oder auf ein Urteil über Eheschutzmassnahmen verzichten will (im letzteren Fall muss das Schreiben jedoch innerhalb von 10 Tagen nach Erhalt des Urteils erfolgen).
Sobald das Urteil rechtskräftig und vollstreckbar geworden ist, kann man es nicht mehr ändern, es sei denn, man stellt einen besonderen Antrag auf Abänderung des Urteils (oder man heiratet wieder mit seinem früheren Ehegatte bzw. geht eine neue Partnerschaft mit seinem früheren Partner ein).
Vorbehaltlich der Revision des Urteils (siehe unten).
Das Gericht informiert die (schweizerischen) Zivilstandsämter über das Urteil, wenn es rechtskräftig und vollstreckbar ist und sofern einer (oder beide) der Ehegatten die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt. Die Zivilstandsregister werden entsprechend geändert.
Das Urteil wird vom Gericht auch direkt den anderen betroffenen Verwaltungsbehörden (Steuern, Einwohnerkontrolle, Bevölkerungsamt) und, falls es Bestimmungen einer Überweisung des BVG enthält, der Vorsorgeeinrichtung mitgeteilt, die die Übertragung vornehmen muss.
Wenn Sie ausländischer Staatsangehöriger sind, müssen Sie direkt oder über Ihr Konsulat bei den Zivilstandsbehörden Ihres Landes die notwendigen Schritte einleiten, um die Zivilstandsregister in Ihrem Heimatland ändern und um das Schweizer Urteil in Ihrem Heimatland anerkennen zu lassen.
Erst wenn Sie durch ein rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil endgültig geschieden sind, können Sie wieder heiraten (Verbot der Bigamie). Dasselbe Prinzip gilt für gleichgeschlechtliche Partner.
Zur Namensänderung einer geschiedenen Frau siehe hier.
Wenn Sie Ihren eingeschriebenen Brief nicht abholen
Wenn Sie nicht anwesend sind, wenn der Postbote kommt, um das Urteil zuzustellen, wird er Ihnen eine Nachricht hinterlassen, die Sie auffordert, innerhalb von 7 Tagen die Post vom Postamt abzuholen (die «Abholungsfrist»). Wenn Sie die Sendung (das Urteil) nicht innerhalb der 7-Tage-Frist abholen, schickt die Post das Urteil an den Absender (das Gericht) zurück.
Auch wenn Sie das Urteil nicht abholen, ist dieses rechtskräftig und vollstreckbar.
Das Urteil wird innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der Abholungsfrist der Post rechtskräftig und vollstreckbar (auch gegen Sie, wenn Sie es nicht abholen konnten oder wollten) und Sie sind an diesem Tag offiziell geschieden.
Das Bundesgericht urteilte, dass eine Person, die an einem Verfahren teilnimmt, damit rechnen muss, Entscheidungen des Gerichts zu erhalten, und dass es daher darum geht, sich entsprechend zu organisieren, wenn man plant, für einen bestimmten Zeitraum (z. B. Urlaub) nicht zu Hause zu sein. Man muss sicherzustellen, dass die Post an eine andere Adresse weitergeleitet oder von einer dritten Person abgeholt wird (6B_110/2016: Bezieht sich auf ein Strafverfahren aber gilt auch für Zivilverfahren). Wenn der/die Abwesende diese Vorsichtsmaßnahme nicht trifft, gilt das Urteil am letzten Tag der Postaufbewahrung als rechtsgültig zugestellt.
Ergänzung eines ausländischen Urteils
Ein schweizerisches Gericht am Wohnsitz einer der Parteien kann ein ausländisches Urteil auch ergänzen, wenn dieses Urteil in einem wichtigen Punkt offensichtlich lückenhaft ist.
Wenn es darum geht, bestimmte Elemente des ausländischen Urteils abzuändern, sei es in gegenseitigem Einvernehmen oder nicht, so ist der Weg der Abänderung eines Urteils zu wählen und nicht die Ergänzung des ausländischen Urteils.
Weitere Einzelheiten finden Sie hier.
Berufung oder Beschwerde gegen ein Urteil
In «Streitverfahren» kommt es häufig vor, dass der eine und/oder der andere mit dem Urteil nicht zufrieden ist und beschliesst, innerhalb der gesetzlichen Frist zum übergeordneten Gericht zu gehen.
In allen Urteilen ist die Frist für die Berufung oder die Beschwerde angegeben.
- Man spricht von einer Beschwerde, wenn das übergeordnete Gericht den Sachverhalt nicht überprüfen und nur die richtige Anwendung des Rechts kontrollieren kann.
- Man spricht von einer Berufung, wenn das übergeordnete Gericht nicht nur die korrekte Anwendung des Rechts, sondern auch die Bewertung des Sachverhalts überprüfen kann.
Gegen den Entscheid der oberen Instanz haben Sie nach wie vor die Möglichkeit, innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt dieser Entscheidung beim Bundesgericht eine Beschwerde zu erheben.
Insgesamt können also drei verschiedene Gerichte Ihren Fall, falls erforderlich, prüfen. Ein Bagatellverfahren kann also sehr viele Jahre dauern (10 Jahre zum Beispiel im Fall BGE 147 III 265, um schliesslich zu einer endgültigen Entscheidung zu gelangen, die dem Vater das Sorgerecht zuspricht und die Mutter anweist, einen monatlichen Unterhalt von 1.000.- für das Kind zu zahlen, das zu Beginn des Verfahrens 5 Jahre alt war und am Ende des Verfahrens 15 Jahre alt war…!).
Revision eines Urteils
Revisionen sind extrem selten.
Der Grundgedanke ist, dass ein Urteil, sobald es endgültig ergangen ist, nicht mehr grundlegend revidiert oder geändert werden kann (mit Ausnahme besonders wichtiger «neuer Tatsachen», welche die Entscheidung wahrscheinlich wesentlich verändert hätten, wenn sie zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung bekannt gewesen wären).
Damit ein Revisionsgesuch Aussicht auf Erfolg hat, muss daher Folgendes nachgewiesen werden:
- Eine erhebliche Tatsache und/oder ein entscheidendes Beweismittel, die zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung vorhanden waren;
- Dass Sie in gutem Glauben nichts über das Vorhandensein dieser erheblichen Tatsache oder dieses entscheidenden Beweismittel wussten;
- Wenn diese Tatsache oder dieses Beweismittel im früheren Verfahren hätte vorgebracht werden können, wäre die Entscheidung wahrscheinlich anders ausgefallen.
Für Sachverhalte, die nach dem Urteil entstanden sind, die neu und rechtserheblich sind und die zum Zeitpunkt des Urteils nicht bekannt gewesen sein konnten, kann das Verfahren zur Abänderung des Urteils in Betracht gezogen werden (z. B. sind Sie arbeitsunfähig geworden oder Sie nähern sich der Aussteuerung aus der Arbeitslosenversicherung und können keine Alimente mehr zahlen).
Während der Scheidungsrichter grundsätzlich alle Aspekte in einem einzigen Scheidungsurteil abwickeln muss, haben sich die Ausnahmen vom Grundsatz (zuerst ein Scheidungsurteil, also ein Teilurteil, zu erlassen, bevor ein Urteil über die Scheidungsfolgen gefällt wird) in letzter Zeit so stark vermehrt, dass man sich fragt, ob die Ausnahme nicht zur Regel geworden ist.
Zur Vertiefung dieses Themas siehe den (kostenpflichtigen) Artikel von Lars Scheuner: «Die Ausnahme bestätigt die Regel, aber wann wird die Ausnahme zur Regel?».