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Existenzminimum

Das Existenzminimum ist der Geldbetrag, den eine Person zum Leben (eigentlich zum Überleben!) zur Verfügung haben muss. Er deckt die Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung usw.).

Für Personen, die im Ausland leben, müssen die Schweizer Daten entsprechend den Lebenshaltungskosten im Ausland angepasst werden (meist nach unten) (5A_827/2022 E. 5.4).

Es handelt sich um einen Begriff aus dem Prozess- und Konkursrecht, der den Grundsatz aufstellt, dass eine Person über ein (unpfändbares) Minimum für ihren Unterhalt und den ihrer Familie verfügen können muss.

Daher sind im Familienrecht keine Unterhaltsbeiträge fällig, wenn die betreffende Person ihr Existenzminimum nicht deckt.
Bei einer Fortsetzungsfamilie geht es darum, das Existenzminimum des Elternteils zu bestimmen, der grundsätzlich Unterhaltsbeiträge zahlen müsste. Dieses Existenzminimum umfasst nicht das Existenzminimum seiner neuen Familie, sondern nur sein eigenes:

So dürfen die Unterhaltskosten für Kinder, die im gemeinsamen Haushalt leben, für Kinder, die in einem anderen Haushalt leben, für ein volljähriges Kind (Art. 277 Abs. 2 ZGB) oder für den neuen Ehepartner (Art. 163 ff ZGB) nicht zu seinem Existenzminimum hinzugerechnet werden (5A_118/2023 E. 5.3).

Das aktuelle Existenzminimum beträgt (in CHF):

  • 1’200.- pro Monat für eine allein lebende Person
  • 1’350.- pro Monat für eine alleinstehende Person mit Kind(ern). Im Falle alternierender Obhut beträgt das Existenzminimum für jeden Elternteil 1’350.- pro Monat
  • 1’700.- pro Monat für ein verheiratetes Paar, für zwei in einer eingetragenen Partnerschaft lebende Personen oder für ein Paar mit minderjährige(n) Kind(ern) (5A_827/2022)
  • 850.- pro Monat für eine Person, die im Konkubinat lebt
  • 400.- pro Monat für ein Kind bis zu 10 Jahren, für den Elternteil, der die Obhut hat. Bei wechselnder Obhut 200 pro Monat pro Elternteil
  • 600.- pro Monat für ein Kind über 10 Jahre, für den Elternteil, der die Obhut hat. Bei alternierender Obhut 300.- pro Monat pro Elternteil

Für den Betrag des Existenzminimums einer Person, die im Ausland lebt, müssen die Beträge des Schweizer Existenzminimums an die Lebenshaltungskosten im ausländischen Land angepasst werden (5A_827/2022).

Siehe den internationalen Preisvergleich, der vom Bund online gestellt wird.

Vergleiche zu anderen Ländern finden Sie hier.

Zu diesen Pauschalbeträgen müssen die folgenden inkompressiblen Kosten hinzugerechnet werden:

  • Angemessene Unterkunftskosten (Miete, Hypothekenzinsen). Ist die Miete unangemessen oder der Hypothekenzins unverhältnismässig, wird das Gericht nur der Betrag einbehalten, der vernünftigerweise einbehalten werden kann (5A_72/2022, Erw. 61.1 ;  BGE 147 III 265BGE 129 III 526).
    Wenn Sie mit einer Person zusammenleben, legen Sie nur die Hälfte des angemessenen Betrags für Miete oder Hypothekenzinsen an, plus den Mietanteil, den das (die) zusammenlebende(n) Kind(er) benötigt (5A_1068/2021), weil von der anderen Person erwartet wird, dass sie ihren Anteil zahlt, sofern von dem Mitbewohner/Konkubinatspartner erwartet werden kann, dass er arbeitet oder über ausreichende finanzielle Mittel (z. B. Vermögen) verfügt, um seinen Anteil zu zahlen (5A_1068/2021 E. 3.2).
  • Heizung- und Nebenkosten für die Wohnung (nicht aber ein Parkplatz, der für ein angemessenes Wohnen nicht unbedingt erforderlich ist, ausser in dem Fall, dass Sie ein zwingendes Bedürfnis haben, ein Auto zu haben, um Ihren Beruf ausüben zu können oder auch um Ihr Besuchsrecht mit den Kindern wahrzunehmen) (BGE 108 III 605A_522/2020).
  • Obligatorische Krankenversicherungsprämien (einschliesslich derjenigen für unterhaltsberechtigte und sorgeberechtigte Kinder) (5A_880/2018).
  • Beiträge an die Sozialversicherung (BGE 134 III 323).
  • Tatsächlich gezahlte Alimente für ein oder mehrere Kinder oder einen (Ex-)Ehepartner/Partner, laut einem vorherigen Urteil (BGE 121 III 22).
  • Leasing-Raten (nur für unpfändbare Gegenstände, z. B. ein Auto, das unbedingt notwendig ist, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stehen oder das zur Ausübung des Berufs notwendig ist), sofern sich der Verkäufer das Eigentum vorbehalten hat und der Vertrag in das Register über die Eigentumsvorbehalte eingetragen ist (BGE 82 III 26).
  • Nachgewiesene Kosten für die Ausbildung der Kinder (öffentliche Verkehrsmittel, Schulmaterial usw., jedoch keine Privatschule, wenn das Kind in einer öffentlichen Schule eingeschrieben werden kann).
  • Tatsächliche Kinderbetreuungskosten (BGE 147 III 265).
  • Tatsächliches Schulgeld (aber nicht Privatschulgeld) (BGE 127 III 265).
  • Tatsächliche medizinische Kosten, die nicht von der Versicherung übernommen und nachgewiesen werden können (z. B. Zahnarzt, Brille) (5A_919/2013).
  • Auslagen, die in direktem Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechts stehen (Reisekosten und Verpflegung des Kindes, gedeckelt auf maximal 5.- pro Besuchstag und pro minderjähriges Kind (Freiburger Praxis, aber nicht unbedingt die Praxis in allen Kantonen) (TC FR 101 2020 333 vom 29 April 2021).
  • Wesentliche berufliche Aufwendungen, die nicht vom Arbeitgeber übernommen werden.
  • Zusätzliche Kosten, die durch eine Behinderung oder Invalidität entstehen und nicht durch die Invalidenversicherung (IV) oder eine Invalidenrente gedeckt sind.

Beachten Sie, dass diese Liste keine Schulden oder Steuerverpflichtungen enthält (5A_118/2023 E. 4.2; 5A_601/2017; 5A_607/2017BGE 126 III 89), noch Verpflichtungen zugunsten eines volljährigen Kindes oder volljähriger Kinder (5A_118/2023 E. 5.3).

Sind Sie hingegen quellensteuerpflichtig (Ausweis B), so ist der tatsächlich beim Schuldner eingegangene Lohn zu berücksichtigen (5A_118/2023BGE 90 III 34).

Diese Ungleichbehandlungen sind für den Normalbürger unverständlich, der ein Urteil erhält, in dem Steuerschulden und -verpflichtungen bei der Berechnung der Höhe der Alimente für ein minderjähriges Kind nicht berücksichtigt werden.

Mit der Begründung, dass man einen Gläubiger (das Finanzamt) gegenüber allen anderen Gläubigern bevorzugen würde, wenn man die Steuerverbindlichkeiten berücksichtigen müsste.

Diese sehr schön theoretischen Argumentationen führen nur zur Überschuldung des Elternteils, der aufgrund seines unzureichenden Einkommens offensichtlich nicht gleichzeitig Steuern und Unterhaltsbeiträge zahlen kann. Kurz gesagt, das Kindeswohl besteht also darin, einen zahlungsunfähigen und von Betreibungen durchlöcherten Vater zu haben, der seinem Kind nicht einmal eine Mahlzeit in einem Fastfood-Restaurant bezahlen kann, wenn er sein Besuchsrecht ausübt; denn er ist völlig von Schulden erdrosselt.

Der Bundesrat ist sich einig, dass hier eine Ungerechtigkeit vorliegt, die durch eine Gesetzesänderung behoben werden muss, und er fordert einen klaren Auftrag des Parlaments, um ein konkretes Projekt vorlegen zu können. Seine Botschaft wurde in diesem Sinne am 1. November 2023 zurückgegeben. Die grössten Optimisten sprechen von einer möglichen konkreten Anwendung um das Jahr 2034 herum…!

Eine Zusammenfassung des Fortschritts finden Sie im (kostenpflichtigen) Artikel von Paola Stanić: «Le minimum vital des poursuites restera-t-il incomplet ?» (2024).

In allen familienrechtlichen Fällen muss das strenge Existenzminimum, wie es sich aus dem oben Gesagten ergibt, sichergestellt und gedeckt sein, so dass ein möglicher finanzieller Beitrag (Alimente) für den Unterhalt eines minderjährigen Kindes oder (Ex-)Ehegatten nur dann in Betracht kommt, wenn nach Deckung des Existenzminimums noch ein verfügbares Einkommen zur Verfügung steht.

Wenn das Einkommen nicht ausreicht, um das Existenzminimum zu decken, kann eine Person nicht gezwungen werden, zum Unterhalt einer anderen Person (insbesondere eines minderjährigen Kindes oder minderjähriger Kinder) beizutragen, so dass in solchen Fällen keine Unterhaltsbeiträge zu zahlen ist. Wenn nur ein sehr geringer Betrag zur Verfügung steht, ist der verfügbare Betrag gleich dem Unterhalt für den/die Minderjährigen.

VORSICHT: Ein Gericht kann der Ansicht sein, dass eine Person nicht die notwendigen Anstrengungen unternimmt, um Einkommen zu erzielen/zu erhöhen. In diesen Fällen wird ein hypothetisches Einkommen einbehalten.

Wenn die lebensnotwendigen Bedürfnisse des Existenzminimums gedeckt sind und noch ein verfügbares Einkommen vorhanden ist, können weitere Posten zur Ermittlung des erweiterten familienrechtlichen Existenzminimums hinzugerechnet werden, insbesondere — und in dieser Reihenfolge —:

  • Betreuungsunterhalt
  •  Zusatzkrankenversicherungsprämien
  • Steuern. Es ist sehr kompliziert, die Steuern in einem konkreten Fall genau zu bestimmen. Man kann die von der Steuerverwaltung zur Verfügung gestellten Rechenmaschinen verwenden (5A_8/2023, Erw. 7.3)  oder sogar eine Simulationsrechnung bei der Steuerverwaltung anfordern. Siehe auch BGE 147 III 457.
  • Die Höhe der Selbstbeteiligung der Krankenkasse (falls tatsächlich gezahlt)
  • Die notwendigen Ausbildungskosten (BGE 147 III 265; 5A_365/2019)
  • Rückzahlung von Schulden des Paares oder von Schulden, die für den Bedarf des Paares aufgenommen wurden (BGE 127 III 289).
  • Telefon- und Internetkosten (nur für Erwachsene) (BGE 147 III 265)
  • Zahlungen der dritten Säule (nur für Selbstständige, die keine zweite Säule haben) (5A_608/2011)
  • Die Amortisation von Hypothekarkrediten (5A_440/2022 E. 3.2) sowie die Tilgung aller anderen Schulden, sofern die Zahlungen zur Tilgung der Schulden bereits vor dem Ende des Zusammenlebens regelmäßig geleistet wurden und die Schulden zum Nutzen der Familie eingegangen wurden, gemeinsam beschlossen wurden oder die Ehegatten Gesamtschuldner sind (5A_831/2022)

Diese zusätzlichen Beträge werden nur berücksichtigt, wenn für das Kind (die Kinder) — das an erster Stelle steht — eine angemessene Rente gezahlt wird.

Artikel aktualisiert am 14/08/2024